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Volkan: Wir wollten im Frühjahr 2020 nach Namibia fliegen und unsere Projektreise antreten. Unsere Flüge wurden storniert - die Welt stand still. Ein Virus ging rum.
Als Verein ist es wichtig spontan auf aktuelle Situationen zu reagieren. COVID-19 hat bei uns leider dazu geführt, dass wir unsere Bildungsanstrengungen anpassen mussten und nun mit der elementaren Aufgabe beschäftigt sind, eine Lebensmittelversorgung zu koordinieren. Wir leisten seit Ausbruch der Pandemie eine COVID-19 bedingte Soforthilfe, um das Leid der Menschen vor Ort in Namibia zu lindern. Bisher konnten wir mit Hilfe unserer lokalen Partner über 20 Tonnen Lebensmittel verteilen und mehr als 400 Familien dauerhaft versorgen.
Die Corona-Pandemie stellt nicht nur eine gesundheitliche, sondern auch eine humanitäre Krise dar, die sich auf das Leben, die Gesundheit und die Lebensgrundlagen von Menschen auf der ganzen Welt auswirkt. In Namibia trifft die Pandemie in den dichtbesiedelten Townships auf Menschen, die ohnehin unter erschwerten Bedingungen leben und nicht auf Rücklagen zurückgreifen können. Die plötzliche Arbeitslosigkeit und Ausgangssperren haben die Menschen an den Rand ihres Existenzminimums gebracht.
Aus diesem Grund waren unsere Solidarität und unser schnelles Handeln gefordert. Wir koordinieren, organisieren und kommunizieren seit April durchgehend mit unseren lokalen Kooperationspartnern, um eine Grundnahrungsmittelversorgung sicherzustellen, ohne ein Ungleichgewicht und Unruhe im Township zu stiften. Das Ziel ist weiterhin eine möglichst faire und langfristige Versorgung möglichst vieler Menschen zu ermöglichen.
Da derzeit keine Unterrichtseinheiten stattfinden dürfen, haben sich die Lehrer*innen bereiterklärt, an der Lebensmittelverteilung mitzuwirken, sodass das von uns geförderte Schulprojekt zu einem Umschlagplatz für wöchentliche Lebensmittelausgaben geworden ist – unter Einhaltung aller Hygienevorschriften.
Volkan: Während meines Dienstes in Namibia arbeitete ich in einem Schulprojekt, das kostenlose Bildung für Kinder und Jugendliche anbietet, die sich den Besuch einer staatlichen Schule nicht leisten können oder wollen. Das Schulprojekt ist eine Bildungs- und Begegnungsstätte und eine Wohlfühloase für bis zu 100 Kinder und Jugendliche täglich - die einzige im gesamten Township mit über 25.000 Menschen. Dieses Schulprojekt dient auch als Anlaufstelle für alle Erwachsenen, die Unterstützung bei der Bewerbung um eine Arbeit brauchen. Ich war als Freiwilliger ein fester Bestandteil des Alltags im Leben der Kinder und Jugendlichen sowie Erwachsenen. Ich habe keinen Arbeitsplatz ersetzt, sondern das bestehende Lehrpersonal in ihrem Schulalltag unterstützt und war frei in der Gestaltung meines Alltags - morgens war ich mit dem Unterricht beschäftigt und mittags mit der Hausaufgabenbetreuung und fungierte als Ansprechpartner für die Community.
Kommunikation ist der Schlüssel zu allem!
Volkan: Ich begegnete während meines Jahres vielen Herausforderungen, hatte zwischendurch Kummer, aber auch viel Freude. Oft habe ich an meiner Mitarbeit gezweifelt - an meinem Dasein. Ich wollte nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Ich wollte mehr bewirken, mehr tun und machen. Wie jeder naive Jugendliche hatte ich den Wunsch die Welt verändern zu wollen. Meine größte Herausforderung war es Zeuge davon zu sein, wie ein Kind von seiner Familie (aufgrund seines schlechten Verhaltens in der Schule) geschlagen wurde. In Deutschland wird dies als Misshandlung betitelt, in Namibia gehört es in seltenen Fällen leider noch zur Erziehung dazu. Ich war überfordert, traurig und sauer - aber ich konnte darüber reden und versuchen es zu verstehen. Kommunikation ist der Schlüssel zu allem, auch wenn diese Methode das Handeln der Menschen niemals rechtfertigt, aber es hilft einem selbst.
Der Freiwilligendienst hat einen ganz besonderen und magischen Zauber in sich: Der Dienst formt einen Freiwilligen völlig leise, ohne große einschneidende Erlebnisse kontinuierlich in der eigenen Denk- und Verhaltensweise.
Volkan: Der Freiwilligendienst hat einen ganz besonderen und magischen Zauber in sich: Der Dienst formt einen Freiwilligen völlig leise, ohne große einschneidende Erlebnisse kontinuierlich in der eigenen Denk- und Verhaltensweise. Hinterher kann ich nicht mit absoluter Sicherheit erzählen, was anders ist, aber ich spüre es ganz tief in mir. Ich spürte es ganz besonders, als ich nach meinem Jahr wieder mit der eigenen, deutschen Kultur in Kontakt kam.
Meine wichtigste Erkenntnis war, dass ich die Werbung großer und namhafter Hilfsorganisationen sehr kritisch beäuge. Ich kann es nicht leiden, wenn mit dem Hunger, der Armut und mit weinenden Kindern Werbung betrieben wird, um Spenden zu sammeln. Mit Kindern wird auf riesengroßen Plakaten geworben, ohne dass zumindest der Name erwähnt wird. Das ist keine sachliche und wahrheitsgetreue Informationsflut - das ist Ausbeutung am eigenen Leib. Und es ist eine Momentaufnahme. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich weiß um die Wichtigkeit der Öffentlichkeitsarbeit und ihren Nutzen als Instrument für die Eintreibung von Spendengeldern - es geht aber auch anders. Es muss anders gehen!
Volkan: Ich wollte die Nachhaltigkeit meines einjährigen Freiwilligendienstes wahren und so entschlossen meine Mitfreiwillige und ich uns einen Verein zu gründen, um eine rechtliche Grundlage für das Sammeln von Spenden zu schaffen. Unser Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen in Namibia den Zugang zu Bildung zu gewähren. Während unseres Freiwilligendienstes konnten wir bereits das ungleiche Bildungssystem Namibias kennenlernen: die arme Bevölkerung, die kein Geld für eine Privatschule hat erhält in den überfüllten Klassen und mit teilweise überforderten Lehrer*innen eine wesentlich schlechtere Ausbildung. Dies führt zu einem Teufelskreis, denn eine schlechtere Bildung führt auch zu schlechteren Jobchancen und für viele gibt es kaum eine Möglichkeit aus diesem Kreis auszubrechen.
Ursprünglich wollten wir diese Möglichkeit unserem Patenkind Tangeni Shilongo ermöglichen, doch mittlerweile haben wir uns durch die Unterstützung des Schulprojektes und unserem Stipendienprogramm ausweiten können. Wenn jedes Kind in Namibia die gleiche faire Chance auf gute Bildung hätte, wäre unser Traum erfüllt und wir könnten uns zurückziehen oder uns anderen großen Themen widmen. Aber davon ist Namibia noch weit entfernt. Mit unseren Projekten leisten wir einen kleinen Beitrag zu diesem großen Traum, der eine Menge Anstrengung und vor allem auch Ausdauer erfordert. Wir hoffen, dass die Jugendlichen, die wir auf ihrem Weg begleiten, später eine gute Position in der Gesellschaft erhalten, mit der sie für eine Veränderung des Systems von innen heraus kämpfen können, denn wir würden das als Außenstehende nie schaffen. Dessen Ungleichheit zeigt sich genauso im Gesundheitswesen, in dem der öffentliche Sektor wesentlich schlechter ausgestattet ist als der private. Dieses Ungleichgewicht gibt es auch in Deutschland, keine Frage, aber unser Herz schlägt nun einmal für Namibia.
Volkan: Ich lernte Beatha Shilongo, eine junge, aber sehr selbstständige Frau im Alter von 20 Jahren kennen, als sie bei mir im Schulprojekt, in dem ich arbeitete, auftauchte, um einige Kopien von ihren Dokumenten anfertigen zu lassen. Ich wusste schon immer von ihrer Existenz, da sie gegenüber der Schule einen sogenannten „Tuck Shop“ führte, bei uns in Deutschland eher als „Kiosk“ bekannt. Wir unterhielten uns von Zeit zu Zeit immer mehr, doch als ich bemerkte, dass Beatha schwanger war, wurden unsere Gespräche immer persönlicher – zum wohl wichtigsten Zeitpunkt, denn mir ging es nicht gut. Ich hatte ein emotionales Tief und wollte meinen Dienst hinschmeißen, aber Beatha half mir aus dieser Krise, indem sie mir Hoffnung und Zuversicht gab. So wurde die Freundschaft immer intensiver, immer mehr Gespräche und gegenseitige Besuche fanden statt. Ich lernte so viel von ihr – das gab mir Halt und Mut weiterzumachen. Schnell wollte ich, dass sich Beatha und meine Mitfreiwillige Malina ebenso kennenlernen.
Eines Tages schrieb mir Beatha eine SMS: “I gave birth to a baby called Tangeni. I am blessed. God was with me through giving birth but it was painful my dear.” Wir waren sehr froh, dass sie ihr Kind wohlbehalten zur Welt gebracht hatte. So kam also im Mai 2015 unser Namensgeber Tangeni Shilongo auf die Welt. Wir hatten eine sehr intensive Beziehung zu Beatha und versprachen uns für Tangeni zu sorgen so lange es notwendig ist. Drei Jahre später bekam Tangeni einen Bruder und Beatha benannte ihren Sohn nach mir - er heißt Jonas Volkan Shilongo. Es soll ein Zeichen ihrer Dankbarkeit und Wertschätzung sein. Ich bin unfassbar stolz auf die kleine Familie, meine Familie.
Ich kann nur für mich sprechen: Mein Engagement ist zu einer Lebensaufgabe geworden.
Volkan: Es ist nicht möglich Engagement und Berufsleben zu trennen - das wäre so, als würdest du ein Doppelleben führen. Ich kann nur für mich sprechen: Mein Engagement ist zu einer Lebensaufgabe geworden, die mir Sinn schenkt und das Gefühl etwas Wertvolles, Nachhaltiges und Wichtiges auf dieser Welt zu tun. Ich möchte nicht 50 Jahre lang einem Job nachgehen, nur um meine Fixkosten zu decken und mir einmal im Jahr einen Urlaub zu gönnen. Ich will mehr aus meinem Leben machen - ich will mein Leben nicht nur mir, sondern auch anderen widmen, damit all das einen Sinn hat. Dafür nutze ich all meine Kraft, all meine Kenntnisse und Erfahrungen, die ich habe. Gemeinsam mit Menschen, auf die ich mich verlassen kann.
Ich habe nach meinem Freiwilligendienst eine Ausbildung zum Kaufmann für Marketingkommunikation begonnen, bis ich einen Job als Manager in einem Künstlermanagement angenommen habe. Drei Jahre lang managte ich bekannte und erfolgreiche Künstler. Heute arbeite ich neben meinem Engagement in und für Namibia als „head of charity“ in einer anderen Hilfsorganisation, die Projekte weltweit unterstützt. Auch in meinem Berufsleben rede ich viel von meinem Engagement, versuche andere Menschen für unsere wertvolle Arbeit zu begeistern, sie für uns zu gewinnen, um Unterstützung zu bekommen. Es ist wichtig zu reden, aber niemals missioniere ich.
Volkan: Bitte gründe keinen neuen Verein, sondern such nach bereits existierenden Organisationen, die in deinem Entsendeland tätig sind und die deine Visionen, Ziele und Träume in ähnlicher Weise verfolgen. Setz dich mit ihnen in Kontakt, tausch dich aus und bring in Erfahrung wie du dich integrieren und dich engagieren kannst. Und ich bin mir sicher, du kannst das Projekt, für das du dich ein Jahr lang engagiert hast, mit ins Boot holen. Wir müssen mehr miteinander arbeiten, als nebeneinander und gegeneinander. Das hier soll zwar Spaß machen, aber in erster Linie geht es darum Kräfte zu bündeln, Synergien zu schaffen und für das Wohlergehen einer Gemeinschaft, einer bestimmten Zielgruppe zu kämpfen - das ist nur gemeinsam möglich.
Ich bin nicht das beste Beispiel für diesen Ratschlag, ich habe fünf Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass es effektiver ist sich bereits existierenden Vereinen anzuschließen, als seinen eigenen Weg zu gehen. Ich bereue keinen einzigen Schritt meines Engagements nach meinem Freiwilligendienst, aber ein Verein ist wie ein Unternehmen mit dem Unterschied, dass es sich nicht in die eigene Tasche wirtschaftet. Vereinsarbeit erfordert hitzige Diskussionen, anstrengende Debatten, die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und sonstigen Problemen. Vereinsarbeit ist emotional, aber sie macht auch total viel Spaß. Sie bedeutet aber auch viel Bürokratie. Viele stellen sich die Gründung eines Vereins sehr einfach vor. Das Ende eines Vereins beginnt mit der Stille. Also seid laut und kämpft für eine gerechtere Welt.
Volkan: Wie jeder Verein sind auch wir auf Spenden angewiesen - uns helfen einmalige Spenden, aber vielmehr noch langfristige Spenden, sodass wir auch langfristig planen können. Jeder, der uns unterstützen möchte, egal wie, soll sich bei uns melden. Wir finden für jeden einen Platz in unserem Verein. Denn von einer Sache haben wir besonders viel: Aufgaben!
Mehr Informationen über den Verein Tangeni Shilongo Namibia:
Volkans persönlicher Blog: