Noch auf der Suche? Auf deinem Merkzettel kannst Du Entsendeorganisationen speichern, die Dir zusagen. Schick sie Dir anschließend per Mail zu oder speichere sie als PDF.
weltwärts
gehen
weltwärts
gehen
Gaby und Rolf Deckler nahmen 2015 ihren ersten Gastsohn bei sich auf. Iván Butrón Sossa kam aus Bolivien und absolvierte seinen Freiwilligendienst über das Bolivianische Kinderhilfswerk (BKHW). Er wohnte 12 Monate bei Familie Deckler und gehört auch heute noch zur Familie. Nicht zuletzt, weil mittlerweile sein Bruder Sebastian Butrón Sossa einen Freiwilligendienst macht und bei Gaby Deckler wohnt…
Als Gaby und Rolf Deckler 2015 aus dem Urlaub zurückkommen, ist die Geflüchteten-Debatte in vollem Gange. Gaby Deckler möchte sich engagieren, doch die intensive Beschäftigung mit dem Thema Flucht ist zu belastend. Die Idee, einen Menschen in ihrem Haus aufzunehmen, bleibt jedoch bestehen. So fügt es sich, dass sie auf eine Anzeige des Bolivianischen Kinderhilfswerks aufmerksam wird. Es werden Gastfamilien für Freiwillige aus dem Ausland gesucht.
Es kommt wie es kommt! Da sind wir sehr offen!
Schon nach ein paar Tagen kommt eine Mitarbeiterin des BKHW vorbei, um sich das Wohnumfeld der Decklers anzuschauen. Ehemann Rolf Deckler erfährt erst in diesem Moment von seinem Glück, aber er lässt sich auf das Abenteuer ein. Auf die Frage, ob die Decklers lieber eine junge Frau oder einen jungen Mann aufnehme wollen, sind sich die beiden direkt einig: „Wie in der Schwangerschaft: Es kommt, wie es kommt! Da sind wir sehr offen.“
Beim Abholen von Iván Butrón Sossa aus Stuttgart war es Gaby Deckler dann doch etwas mulmig: „Hoffentlich klappt das…“. Doch schon nach den ersten Momenten ist klar: Das war eine gute Entscheidung! Iván Butrón Sossa erzählt Gaby Deckler später: „Gaby, ich hab´ dich gesehen und in mein Herz geschlossen!“. Dass er schon mit guten Deutschkenntnissen einreiste, erleichterte die Kommunikation ungemein. So konnten sich alle darüber austauschen, wie das Zusammenleben gut funktioniert. Natürlich gab es auch mal Reiberein, aber die konnten aus dem Weg geschafft werden. „Alles andere entwickelt sich“, meint Gaby Deckler verschmitzt.
„Ich spüre, ich möchte das. Also mache ich das.“
„Ich bin mehr so der Typ, der das Leben auf sich zukommen lässt“, erzählt Gaby Deckler. Ihr war es wichtig, sich trotz beruflicher und privater Herausforderungen sozial zu engagieren. Wegen des Lehrauftrags als „Gruftilehrerin“, wie sie sich spaßeshalber selbst nennt, und der Begleitung ihres kranken Mannes, blieb nicht viel Zeit, sich großartig Gedanken zu machen: „Ich spüre, ich möchte das. Also mache ich das.“, so ihr Motto. „Wir haben einfach Glück gehabt, dass es gut lief und so gepasst hat. Es hätte natürlich auch anders laufen können, aber auch dafür hätten wir eine Lösung gefunden!“.
Das Zusammenleben mit Iván Butrón Sossa war von Lebensfreude und Geselligkeit geprägt. Oft hatte er Besuch von anderen Freiwilligen und neuen Bekanntschaften. Familie Deckler wurde in diese Treffen regelmäßig wie selbstverständlich miteinbezogen. So wurden bei gemeinsamen Kochaktionen kurzerhand noch zwei Gedecke dazu geholt, sodass auch Gaby und Rolf Deckler an der fröhlichen Runde teilhaben konnten.
Als Gaby Decklers Mann verstarb, war Iván Butrón Sossa ihr Trauerbegleiter. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Freiwilligendienst beendet und ein Studium in Berlin begonnen. Er kam direkt, um sie in dieser schweren Zeit zu unterstützen. Dieser zuverlässige und wertschätzende Zusammenhalt hat den Kontakt zu Iván Butrón Sossa, aber auch zu seiner Familie in Bolivien intensiviert.
Durch die Erfahrung als Gastmutter konnte Gaby Deckler ihren Bezug zu „Zeit“ reflektieren. Im Kontakt mit den beiden Freiwilligen lernte sie, wie das Leben mit etwas mehr Gelassenheit gestaltet werden kann. Die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur macht neugierig und offen. „Man muss Mut haben, das Gegenüber so anzunehmen, wie es ist und einfach machen lassen. Dazu müssen beide Seiten offen sein. Dann gelingt es auch.“
„Man muss Mut haben, das Gegenüber so anzunehmen, wie es ist.“
Gerade wohnt Sebastian Butrón Sossa bei Gaby Deckler. Er ist Iván Butrón Sossas Bruder und macht ebenfalls einen Freiwilligendienst beim BKHW. Vor unserem Interview war Gaby Deckler im Urlaub und berichtet zum Einstieg, wie Sebastian Butrón Sossa sie den Tag zuvor angeschrieben hat: „Hallo Gaby, wann kommst du nach Hause? Ich lasse für dich das Licht an, Suppe ist gekocht und eingekauft habe ich auch.“ Mit ihm ist das Zusammenleben anders als mit Iván Butrón Sossa. Gaby Deckler und Sebastian Butrón Sossa haben sich neu arrangieren müssen, da sie beide eigentlich nicht kochen. Zuvor hatte Rolf Deckler diese Aufgabe übernommen und auch Iván Butrón Sossa kochte gerne. Nun kocht Gaby Deckler, während Sebastian Butrón Sossa für das Tischdecken und Küche aufräumen zuständig ist. Die beiden führen eine sehr offene Kommunikation und sind sich sehr vertraut. „Ich kann mir das gar nicht vorstellen, wenn er nicht mehr da ist“, sagt Gaby Deckler. Für die unkomplizierte Herzlichkeit und Fröhlichkeit ist Gaby Deckler besonders dankbar. „Wir können unheimlich viel lachen miteinander“, sagt sie ganz beschwingt.
Als feststand, dass Familie Deckler einen Freiwilligen aus Bolivien bei sich aufnehmen würde, fing Gaby Deckler an, sich über das Land zu informieren. Die Einflüsse, die die Kolonialzeit auch heute noch hat, waren ihr bis dahin nicht bewusst. Der Austausch mit den Freiwilligen über dieses Thema hat ihr viel beigebracht. 2019 war Gaby Deckler dann auch in Bolivien und hat die Eltern von Iván Butrón Sossa und Sebastian Butrón Sossa besucht. Sie wurde herzlich empfangen und herumgeführt. Die schillernden Verzierungen aus Inka-Gold, die sie bei der Besichtigung von katholischen Kirchen geradezu erschlugen, schimmerten durch das neu erlangte Wissen in einem matten Ton und stimmten sie vielmehr nachdenklich als begeistert.
Das BKHW hat eine Handreichung für die Gastfamilien erstellt, die dabei helfen soll, das Zusammenleben mit den Freiwilligen zu unterstützen. Gaby Deckler berichtet von regelmäßigen Treffen der Gastfamilien des BKHW, bei denen es immer Raum für den Austausch untereinander gab. Gerade für neue Gastfamilien sei es wichtig, regelmäßig zusammenzukommen und Erfahrungen miteinander zu teilen.
„Das ist jetzt meine neue Familie, meine bolivianische Familie“
Gaby Deckler wünscht sich, dass noch mehr Freiwillige aus benachteiligten Familien im Globalen Süden erreicht werden, damit auch diese wunderbare Chance wahrnehmen und von den Begegnungen, die weltwärts schafft, profitieren können. Sie ist dankbar für dieses Geschenk der Offenheit und Liebe, die sie als Gastmutter erfahren hat Der nächste Bolivienaufenthalt ist für August geplant. Dieses Mal kommen mehrere Bekannte mit, um Familie Butrón Sossa zu besuchen. „Das ist jetzt meine neue Familie, meine bolivianische Familie“.