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Das Mariphil-Kinderdorf: Unser Zuhause

Sarah-Marie ist die „große Schwester“ von ehemaligen Straßenkindern

Sarah-Marie

Einsatzort: Panabo, Philippinen

Organisation: Mariphil

Straßenkinder sind im Stadtbild von Panabo, einer rund 200.000 Einwohner und Einwohnerinnen zählenden Stadt auf den Philippinen, allgegenwärtig. Sarah-Marie Drescher engagiert sich zusammen mit neun weiteren Freiwilligen im MARIPHIL-Kinderdorf, wo rund 70 dieser Kinder ein Zuhause gefunden haben. Atong Pinuy Anan (Unser Zuhause) heißt das Kinderdorf, wo die Kinder in verschiedenen Häusern in familienähnlichen Gemeinschaften aufwachsen und eine Ausbildung erhalten.

Live - Laugh - Love

Live - Laugh - Love, diese drei Worte beschreiben wohl am ehesten die vergangenen Monate, die ich im MARIPHIL-Kinderdorf verbracht habe. Seit dem 16. Januar bin ich Freiwillige im White House. Gemeinsam mit acht Kindern und Mama Esther (der zuständigen Hausmutter) und mir bilden wir die White House Family.

Das White House wird eröffnet

Bei der Eröffnung und Einrichtung des Hauses wurde ich aktiv mit einbezogen. Einen ganzen Tag waren Mama Esther und ich in den unterschiedlichsten Läden unterwegs, um Töpfe, Geschirr, Bettlacken, Kissen, Handtücher, Vorhänge und Putzutensilien zu kaufen. Das hat unglaublich viel Spaß gemacht und ich wurde toll miteinbezogen. In den ersten zwei Wochen ist unsere Familie auf eine Anzahl von sechs Kindern angestiegen. Mittlerweile sind noch zwei weitere Kinder hinzugekommen, weshalb wir die stolze Anzahl von sechs Jungen und zwei Mädchen verzeichnen können.

Hier kann ich mich super ausleben und meine Ideen einbringen. Ich habe noch tausend neue Ideen, die ich in den nächsten Monaten angehen möchte.

Kinder vor einer bunt bemalten Wand.
Das Dekorieren ist eine von Sarah-Marie's liebsten Beschäftigungen. Den Kindern scheint's zu gefallen.

Beim Dekorieren kann ich mich ausleben

Mir war es ein großes Anliegen, die sterile Atmosphäre der weißen Wände farbenreich und bunt zu gestalten. Das größte Projekt war ein Stammbaum, der ungefähr 1,5 Meter hoch und mit Blätterdach 2 Meter breit ist. Mama Esther hat sich sehr über meine Dekorationsideen gefreut und somit waren meiner Fantasie und Kreativität keine Grenzen gesetzt! Räume gestalten, dekorieren und freundlicher machen, ist eine meiner liebsten Beschäftigungen. Hier kann ich mich super ausleben und meine Ideen einbringen. Ich habe noch tausend neue Ideen, die ich in den nächsten Monaten angehen möchte.

Am Ende eines langen Arbeitstages falle ich müde ins Bett

Mein Arbeitstag beginnt um halb sechs mit dem Wecken der Kinder, Frühstücken und allgemeine Hausarbeiten. Ich selber helfe fleißig im Haushalt mit und habe auch eine eigene Aufgabe, damit kein Familienmitglied bevorzugt wird. „Meine“ Kinder konnten noch nicht eingeschult werden, weshalb sie morgens immer Basketball spielen, Fische fangen oder in Haus und Garten helfen. Ich bereite währenddessen die allabendliche Familienaktivität vor.

Nach einer längeren Pause geht es um halb fünf Uhr nachmittags weiter im Haus. Um diese Uhrzeit beginnt Mama Esther meistens mit den Vorbereitungen für das Abendessen und ich geselle mich gerne zu ihr, um die philippinische Küche und ihre Geheimnisse zu erlernen. Während Mama Esther das Essen fertig stellt, bringe ich die Kinder zum Duschen. Das ist immer ein großer Spaß, weil sich alle Jungs draußen am Wasserhahn versammeln und dann wird munter getanzt, während einer nach dem anderen sich abduscht.

Nach dem Abendessen und der Hausarbeit werden gemeinsam Aktivitäten durchgeführt, die den Zusammenhalt in der Gemeinschaft fördern sollen. Mit einer Hingabe, die mein Herz erfreut, wird gebastelt, gespielt oder massiert. Gegen halb neun ist Schlafenszeit. Wir haben mittlerweile ein Ritual entwickelt, das den Kindern und mir sehr viel Spaß macht. Alle Kinder legen sich in die Betten, danach gehe ich von Bett zu Bett und verabschiede mich mit einem bestimmten Handschlag von jedem Einzelnen. Dann ist der Tag zu Ende und ich falle müde in mein Bett.

Sarah-Marie liest zwei Kindern eine Geschichte vor. Das eine Kind packt etwas aus einem Karton aus.
Sarah-Marie beim Geschichte vorlesen

Die Arbeit mit den Straßenkindern ist nicht immer leicht

Anfangs habe ich sehr deutlich gespürt, dass die Kinder von der Straße kommen, denn sie schienen keine Regeln zu kennen. Das war sehr schwierig und hat mich manchmal verzweifeln lassen. Ich war es leid, ihnen tausendmal zu sagen, dass sie ihr Zimmer aufräumen, sich duschen oder ihre Aufgaben machen sollten. Sie haben nicht sonderlich gut auf mich gehört. Außerdem sind sie schnell aggressiv geworden und haben viel miteinander gestritten.

Das Erlernen der lokalen Sprache hat die Arbeit erleichtert

Diese Situationen haben mich überfordert und traurig gemacht. Ich wollte ihnen erklären, dass wir jetzt eine Familie sind, die zusammen halten muss und nicht so viel streiten sollte. Durch die Sprachbarriere haben sie mich nie verstanden und ich musste immer Mama Esther um Hilfe bitten. Das hat in mir den Wunsch geweckt die lokale Sprache Visaya zu lernen. Jeder Visaya-Satz, den ich nun spreche, wird von den Kindern mit Begeisterungslauten belohnt und treibt mich an mehr zu lernen.

Nun nach zwei Monaten ist es deutlich ruhiger und harmonischer geworden, nach dem Essen werden die Aufgaben bereitwillig gemacht und auch das Duschen geht deutlich schneller über die Bühne. Ich habe zu "meinen" Kindern mittlerweile ein gutes Verhältnis, weshalb ich sie auch anweisen kann, Dinge zu tun.

Wie sieht die Welt durch blaue Augen aus?

Die meisten Kinder im Kinderdorf sind deutsche Freiwillige mittlerweile gewöhnt und sehen diese als "normal" an. Anders bei den Neulingen, die nach wie vor fasziniert sind von der weißen Hautfarbe, meinen blauen Augen und der europäischen Nase. Das führt nicht selten zu lustigen Situationen. Eines der Kinder meinte mal "Ate (Ältere Schwester) Samie, siehst du die Welt in blau?" da musste ich schrecklich los lachen und antwortete "Siehst du denn die Welt braun?". Einen Moment lang hat das Kind darüber nachgedacht, dann stieg es in mein Lachen ein.

Ich komme gerne mit den Menschen ins Gespräch

Doch nicht nur im Alltag im Kinderdorf gibt es viele Momente zum Lachen. Meine freien Tage genieße ich immer sehr. Meistens zieht es mich nach Davao, die nächstgrößere Stadt, die allerhand Vergnügungen anbietet. Schon bei der Hinfahrt im Van lernt man die interessantesten Menschen und ihre Geschichten kennen. Ich unterhalte mich sehr gerne mit den Menschen hier, denn nur so kann ich etwas über das Land und seine Leute erfahren. Auch abends bietet Davao ausreichend Möglichkeiten für junge Leute um sich zu treffen und zusammen ein Bier zu trinken.I

Ich komme gerne ins Gespräch mit den Pinoys, wie sich die Philippinos nennen. Ob es nun ein Tricyclefahrer ist, der über mein Single-Dasein frozelt, oder die Mutter mit Kind im Krankenhaus oder die Verkäuferin im Supermarkt, die mich kompetent berät und dabei noch ihre Geschichte erzählt. Die offene, kommunikative und freundliche Art der Pinoys ist eine der Eigenschaften, die ich am meisten schätze.

Ich nenne sie meine »Das-Leben-ist-schön«-Momente, die mich immer wieder im Alltag und in meiner Freizeit überkommen.

Besondere Momente

Ich nenne sie meine "Das-Leben-ist-schön"-Momente, die mich immer wieder im Alltag und in meiner Freizeit überkommen. Sie machen mich dankbar für die Erfahrungen, die ich machen darf und bestätigen mich in meiner Arbeit und der Entscheidung zu diesem Freiwilligendienst.

Reisterassen
Besondere Momente erlebt Sarah-Marie, wenn Sie aus dem Van heraus die herrliche Landschaft betrachtet.

Das kann eine schlichte Umarmung eines der Kinder sein, die mir das Gefühl gibt: Ich bin hier richtig, ich kann was bewirken. Das kann der Blick aus dem Van sein, wenn ich die Schönheit der Natur und meine Umgebung betrachte: Palmen, die sich im Wind wiegen, eine fünfköpfige Familie, die sich auf ein Motorrad quetscht. Oder ein Einkauf auf dem Fruchtmarkt mit den süßen Mangos, der saftigen Ananas und den leckeren Bananen.

Die Liebe, die ich tagtäglich von Mama Esther und meinen Kindern bekomme, gibt mir die Kraft mein Bestes zu tun. Sie weckt den Wunsch in mir, einen kleinen Teil zum Leben der Kinder beizutragen und ihre Sichtweisen zu beeinflussen.

Welcher Mensch werde ich nach diesem Jahr sein?

Ich bin sehr froh, dass ich mich für dieses Jahr entschieden habe, denn es hilft mir, mich charakterlich zu entwickeln und weiter zu kommen. Die kleinen und großen Krisen, die ich hier zu bewältigen habe, fordern und fördern mich. Ich merke schon, wie ich mich in den vergangenen sechs Monaten zum positiven entwickelt habe. Eigenschaften wie Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und Geduld sind nur einige Beispiele, die ich mir hier vermehrt angeeignet habe. Ich bin gespannt, was für ein Mensch ich nach diesem Jahr sein werde.

Portrait Sarah-Marie
Portrait Sarah-Marie