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Kolumbien: Der leichte Weg

Über die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten

Benno

Einsatzort: Cali, Kolumbien

Organisation: Schule fürs Leben

Benno H. ist seit September 2012 mit der Entsendeorganisation Schule fürs Leben in Siloé, einem der ärmsten Viertel am Rande von Cali, tätig. Als Sporttrainer und Kinder- und Jugendgruppenbetreuer denkt er über die Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen nach, mit denen er arbeitet und beobachtet, dass viele sich für den „leichten Weg“ und ein Leben jenseits von Regeln entscheiden.

Eine Stadt der Gegensätze

Cali gehört nach Bogotá und Medellin zu den drei größten Städten Kolumbiens. Eingebettet in einem Tal zwischen den Ost- und Westkordilleren leben in dieser wirtschaftlich aufstrebenden Metropole auf rund 564 Quadratkilometern nach offizieller Rechnung 2,3 Millionen Menschen.

Cali ist in sechs Steuerklassen (auch Zonen) eingeteilt, deren Unterschiede sich im sozialen Gefälle der einzelnen Stadtviertel spiegeln. Zone Fünf und Sechs beschreiben Viertel mit einer guten Infrastruktur. Hier gibt es ausgebaute Straßen, Einkaufszentren, viele Hochhäuser und wohlhabende Menschen. In den Zonen Zwei, Drei und Vier sieht man den sozialen Unterschied in der Stadt schon deutlicher. Hier wohnen viele wohlhabendere Bürger, jedoch sind die Straßen voll von ärmeren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die versuchen, sich ihren Unterhalt auf den Straßen zu verdienen, sei es mit dem Verkauf von Kleinigkeiten oder mit athletischen Kunststücken. Die Viertel in den Zonen Null und Eins sind soziale Brennpunkte: Hier leben alleinerziehende Mütter, die mit 21 Jahren ihr neunjähriges Kind über die Runden bringen. Gewalt, Armut und Drogen prägen diese Bezirke. Hier, am Rande von Cali, in den Berghängen des früher als äußerst gefährlich geltenden Stadtviertels Siloé arbeite ich in einem umzäunten Park der Fundación Fanalca.

Ein Park mit Angeboten für Mittellose

Fanalca ist eine gemeinnützige Organisation, die sich um die Verbesserung der Lebensqualität in Siloé kümmert und in den öffentlichen Grünzonen Kultur- und Bildungsangebote für Mittellose organisiert. In dem Park werden verschiedene kulturelle oder sportliche Aktivitäten der Stadt sowie Programme der Fundación Fanalca angeboten. Ich bin dort als Sporttrainer tätig und betreue außerdem die Programme Teatro en el Parque (Theater im Park) und Pintura en el Parque (Malen im Park).

La Horqueta, die Astgabelung, so heißt der Park nach seiner trapezförmigen Form. Zwei Fußballfelder, von denen eines auch für Basketball, Handball oder Volleyball genutzt werden kann, sind voll von kreischenden Kindern. Sie spielen gemeinsam in ihrer Freizeit, kommen aber auch während der Schulzeit mit ihren Klassen hierher zum Sportunterricht. Die Schulen selber bieten dafür keinen Platz. Ich hatte eine der Schulen besucht, um die Kinder über die Aktivitäten im Park zu informieren und um mir ein Bild von der Schule zu machen.

Der Freiwillige Benno H. betreut die Kinder im Park.
Der Freiwillige Benno H. betreut die Kinder im Park.

Meine Kollegin verfolgt meinen leeren Blick und kommt zu mir. „Wir sind hier in der Zone Eins - hier gelten die Regeln der Straße.“

Besuch in der Schule

Die Institución Bolivariano del Sur unterrichtet rund 80 Kinder der fünften bis elften Klasse auf weniger als 90 Quadratmetern. Ich hatte mich in dieser Schule als Sporttrainer vorgestellt. Als ich die Schule zum ersten Mal betrat, bombardierten mich viele Schüler und Schülerinnen mit tausenden von Fragen über meine Herkunft, meine Arbeit, mein Alter und wollten wissen, ob ich selbst Kinder habe. Dann sollte ich ihnen sagen, wie man ihre Namen auf Deutsch, Englisch und Französisch ausspricht. Martha, Juan und Angie klammerten sich mit ihren winzigen Fingern an mich und wollten mich nicht mehr loslassen. Diese Kinder waren so neugierig und herzlich, dass ich selbst total mitgerissen wurde, als ich sah, wie glücklich sie über das Beantworten ihrer Fragen waren.

Theater für mehr Verantwortung

Im Park wartet meine Theatergruppe auf mich. Es sind zwölf Freiwillige, eine ungewöhnlich große Gruppe. Sie sind alle zwischen 14 und 17 Jahre alt und üben kleine Theaterausschnitte, die sie an den Ampeln vorführen. Das Programm heißt Semilleros de la Cultura Ciudadana, was übersetzt so viel bedeutet wie „Brutstätte der Stadtkultur“. Ziel des Programms ist es, die Passanten und Autofahrer auf ihre Verantwortung für den Lebensraum Stadt aufmerksam zu machen, ihnen zum Beispiel Respekt gegenüber den Verkehrsregeln nahe zu legen oder sie daran zu erinnern, den Müll angemessen zu entsorgen. Die Gruppe ist toll und wir lachen viel.

Tanzende Jugendliche, die Passanten und Autofahrer für mehr gesellschaftliche Verantwortung sensibilisieren möchten.
Mittels Straßentheater versuchen die Jugendlichen, Passanten und Autofahrer für mehr gesellschaftliche Verantwortung zu sensibilisieren.

Die Regeln der Straße

Gegen fünf Uhr betreten sieben Jugendliche den Park. Sie zahlen Eintritt, damit sie Bälle und die Felder benutzen dürfen, 300 Pesos, in etwa 12 Cent. Nach einiger Zeit springen sie an die Basketballkörbe und beanspruchen bald das ganze Spielfeld für sich. Sie trampeln auf das neu angelegte künstliche Fußballfeld, das noch nicht betreten werden darf.

Ich gehe zu meiner Kollegin und frage sie, warum sie denn nichts unternehme. Schließlich sei das Spielfeld für alle da, die Basketballkörbe könnten kaputt gehen und das künstliche Feld sollte noch nicht benutzt werden. „Die Jugendlichen hier sind sehr gefährlich, die haben ihre eigenen Regeln. Da können wir nichts gegen machen“, ist ihre Antwort. Ich schaue mich nach meinen kleinen Schützlingen aus der Institución Boliviariano del Sur um. Martha und Angie sind auf einem Klettergerüst und spielen Ticker. Juan ist zu den Jugendlichen gegangen und spielt mit ihnen Fußball. Er kennt die Regeln im Park und weiß, dass er das künstliche Fußballfeld nicht betreten darf. Aber das ist ihm jetzt, im Kreis der Jugendlichen, egal. Alle zusammen scheinen sie wie immer überglücklich, wie sie herumtollen und lachen. Meine Kollegin verfolgt meinen leeren Blick und kommt zu mir. „Wir sind hier in der Zone Eins - hier gelten die Regeln der Straße.“

Kinder, die im Park an einem Klettergerüst hängen.
Im Park können Kinder aus mittellosen Familien nach Herzenslust toben.

Warum der Bericht „Der leichte Weg“ heißt

Ich rede oft mit meinen Kollegen und Kolleginnen über die Kinder und Jugendlichen im Park. Sie erzählen mir, dass viele der älteren Jugendlichen früher an den Programmen im Park teilgenommen haben. Sie waren, genauso wie Marta, Angie und Juan, neugierige, kreischende Schulkinder.

Mit zwölf Jahren, wenn die Pubertät anfängt, werden aus den Kindern Jugendliche. Beim Betteln merken sie, dass es einfacher ist sich zu nehmen, was man braucht oder haben will, als danach zu fragen. Wenn jemand nichts gibt, wird dieser Person einfach in die Hosentasche gegriffen. Ähnlich ist das mit vielen Kindern im Park. Sie beginnen, sich zu fragen, wieso sie denn auf die Aufseher im Park hören sollen, wenn sie doch viel mehr Spaß haben könnten - ohne Regeln. Sie orientieren sich an den Jugendlichen.

Mein Text ist ein Extrembeispiel, das nicht auf alle Kinder zutrifft. Jedoch gibt es leider viele Kinder, die nur diesen leichten Weg kennen.

Über die Entsendeorganisation

Die Entsendeorganisation Schule fürs Leben arbeitet gemeinsam mit der kolumbianischen Partnerorganisation Fundación Escuela para la Vida in Cali mit einem großen Netzwerk an Partnern. Sie bietet verschiedene Einsatzplätze für Freiwillige an. Mehr Informationen zur Arbeit von Schule fürs Leben sowie weitere Freiwilligenberichte findest du auf der Website der Organisation.