In die Welt

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Ich habe das Gefühl, so viel über das Leben zu lernen

Ana-Sophia war mit weltwärts in Südamerika

Ana-Sophia

Einsatzort: Santiago de Chile, Chile

Organisation: Amntena

Für Ana-Sophia Burkard sind die ersten Wochen und Monate in Südamerika rückblickend in einem unglaublichen Tempo verflogen. Mit der weltwärts-Entsendeorganisation Amntena ging es für sie nach Chile. Von ihren Erfahrungen, sowohl guten als auch schlechten, erzählt sie in ihrem Erfahrungsbericht.

Die Sicht aus dem Flugzeugfenster war umwerfend

Es ist mittlerweile drei Monate her, dass ich mit den anderen Freiwilligen in Santiago am Flughafen gelandet bin. Die Sicht aus dem Flugzeugfenster auf die aufgehende Sonne und die Anden war umwerfend, doch Chile empfing uns mit Regen und grauem Himmel, ein Vorgeschmack auf das schreckliche Augustwetter und eine Kälte, die man definitiv nicht mit Südamerika verbindet. Erhellt wurde dieses triste Szenario nur durch Helga, unsere Betreuerin, und den ehemaligen Freiwilligen, die ihre letzte Woche in Santiago verbrachten und uns verkleidet und mit sehr viel Energie einen schönen Empfang am Flughafen bereiteten.

Blick auf Santiago de Chile.
Santiago de Chile.

Mit dem Auto ging es zur Zentrale der Fundación Cristo Vive (span.: Stiftung Christus lebt) , wo wir erstmal ein Frühstück zur Stärkung einnahmen und über die nächsten Tage redeten. Dort lernten wir auch kurz Karoline kennen. Sie ist der Kopf der Fundación und eine Frau mit einer unglaublichen Ausstrahlung, die in ganz Santiago bekannt ist. Nach dem Mittagessen brachte Helga uns zu unserem neuem Zuhause, der "Casa Amistad" (span.: Haus Freundschaft). Es ist zwar sehr klein, aber gemütlich, und nach den ersten Anfangsschwierigkeiten gewöhnten wir uns schnell daran, dass Wasserkocher und Trockner gleichzeitig laufen zu lassen zu einem Stromausfall führt und die Dusche sich nicht einstellen lässt, so dass man die Wahl zwischen brühend heißem und kaltem Wasser hat.

Die Vorstellung, zwölf Monate in Chile zu sein, erschien mir irreal.

Meine Arbeit mit den Usuarios

Santiago ist einfach nur riesig, und ich weiß gar nicht, in wie viele kleine Gassen ich anfangs gelaufen bin, bis ich endlich die fand, in der unser Haus steht. Ich war von den vielen neuen Eindrücken erschlagen und die ersten Tage einfach nur müde. Die Vorstellung, zwölf Monate in Chile zu sein, erschien mir irreal.

Die zwei Wochen Sprachschule polierten zumindest mein Spanisch auf und so war ich endlich bereit, meine Arbeit in dem Obdachlosenheim Cristo Acoge (span.: Christus nimmt auf) anzutreten. Bisher hatte diese Einrichtung keine eigenen Freiwilligen, ich bin also die Erste und wurde mit Spannung erwartet.

Normalerweise bin ich von 9 bis 17 Uhr in der Residencia (span.: Wohnheim). Dort frühstücke ich meist erstmal mit den Usuarios (span.: Nutzer), wie wir die Bewohner des Obdachlosenheims nennen, und setze mich mit den anderen Mitarbeitern zusammen, um zu sehen, ob etwas Spezielles passiert ist. Danach kann es sein, dass ich mit einem Usuario zum Beispiel zum Arzt oder zur Bank muss, also ziemlich viel unterwegs bin und so auch viel von Santiago sehe. Oder ich habe Zeit, mit den Chiquillos, wie ich die Jungs mittlerweile liebevoll nenne, Brettspiele zu spielen oder zu reden. Das ist immer sehr interessant, vor allem weil hier alle sehr offen mit ihren Lebensgeschichten umgehen und mir viel von sich erzählen.

Schwere Schicksale

Die Menschen in der Residencia haben alle ein sehr schweres Schicksal. So hat beispielsweise einer von ihnen durch harte Arbeit einen gut laufenden Möbelladen aufgebaut, obwohl er in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen ist. Sein Vater hatte ihn verlassen und bis auf seine Mutter, die sein Ein und Alles war, hatte er keine weiteren Verwandten. Schließlich konnte er seiner Mutter und sich selbst ein gutes Leben ermöglichen, mit eigenem Haus und Auto, in Chile ein Symbol für Wohlstand. Dann wurde die Mutter krank, er ließ sie in eine gute Klinik einweisen und gab sein ganzes Geld aus, um das Leben seiner Mutter zu retten. Er musste das Haus und das Auto verkaufen, da so etwas wie eine Krankenversicherung hier in Chile nicht existiert, beziehungsweise trotzdem viele Arztkosten selbst getragen werden müssen und verschuldete sich zudem. Die Mutter starb und er blieb völlig mittellos zurück, was ihn in die Alkoholsucht trieb. Zwei Jahre verbrachte er auf der Straße, und nun ist er in der Residencia, arbeitet wieder und versucht sich wieder ins Leben zu kämpfen.

Die Menschen dort machen diesen Ort zu einer unglaublichen Erfahrung, ich habe das Gefühl, so viel über das Leben zu lernen. Diese Arbeit gibt mir so viel, dass ich keinen Tag missen möchte und auch in Chile verliebe ich mich mit jedem Tag mehr

Das ist nur ein Beispiel von vielen und ist der Grund, warum ich die Arbeit in der Residencia liebe. Die Menschen dort machen diesen Ort zu einer unglaublichen Erfahrung, ich habe das Gefühl, so viel über das Leben zu lernen. Diese Arbeit gibt mir so viel, dass ich keinen Tag missen möchte und auch in Chile verliebe ich mich mit jedem Tag mehr.

Ich habe selbst ein Projekt in der Residencia gestartet, indem ich Holzäpfel bastele, in denen ein Bild jedes Usuarios mit Geburtsdatum eingebracht ist. Diese schmücken jetzt den an die Wand gemalten Baum des Wohnzimmers der Residencia.

Der November war in der Residencia ein sehr turbulenter Monat: viele Neuzugänge, neue Mitarbeiter und ein schwerer Schicksalsschlag. Dabei fing alles damit an, dass wir einen geregelteren Tagesablauf in die Residencia bringen wollten, mit mehr Angeboten für die Bewohner wie Mosaiko, Computerkurse, Yoga, Meditation etc. Ich sollte den Computerkurs übernehmen und bei den anderen Angeboten helfen.

Ein Schock für uns alle

Allerdings wurde aus der ganzen Geschichte nichts, da einer der Bewohner so krank wurde, dass er mehrere Wochen im Krankenhaus verbrachte und schließlich starb. Für mich war es das erste Mal, dass ich miterleben musste, wie es einem Menschen immer schlechter ging und keine Behandlung anschlug. Ein Schock für uns alle und insgesamt einfach nur eine schreckliche Situation, die uns unsere gesamten Pläne vergessen ließ, da wir uns eher darauf abstimmen mussten, wer ihn wann im Krankenhaus besuchen geht, so lange die anderen die Stellung hielten. So nehmen unsere ganzen Pläne erst wieder langsam Form an, und es wird wohl noch eine Weile dauern, bis alle Aktivitäten so umgesetzt werden können wie geplant.

Im Dezember machten wir mehrere Ausflüge, trotzdem war es einer der schwierigsten Monate, weil Weihnachten vor der Tür stand und wir Freiwilligen von etwas Heimweh geplagt wurden. Mit Plätzchen und Weihnachtsliedern versuchten wir, dem Ganzen etwas entgegenzuwirken, aber bei 30°C Mindesttemperatur ist das nicht so einfach.

Ich fahre jetzt öfters mit der Köchin Luisa zum Einkaufen auf die Vega, den größten Markt in Santiago, oder nach Cardenales, um Lebensmittel abzugeben. Der Straßenverkehr in Santiago ist zwar nicht so angenehm, aber es ist eine schöne Abwechslung, mit Luisa unterwegs zu sein. Außerdem war ich auch öfters mit einem der Bewohner beim Psychiater und erlange einen tieferen Einblick in den schwierigen Prozess der Rehabilitation.

Eine überschwemmte Straße, die von einem Erdrutsch zerstört wurde.
Erdrutsch in Peru.

Auf zum Zwischenseminar

Im Januar ging es dann zum Zwischenseminar nach Peru. Wir freuten uns alle riesig, die anderen weltwärts-Freiwilligen von Amntena wiederzusehen und auch mal wieder auf eine Auszeit, da es für viele wirklich das erste Mal war, an dem sie 2 Wochen am Stück frei hatten.

Peru entwickelte sich zu einem großen Abenteuer, was schon mit dem Weg zum Zwischenseminar nach Prosoya begann. Die 13-stündige Fahrt entpuppte sich als Schlammschlacht, als wir um 7 Uhr morgens wegen eines Erdrutsches anhalten mussten. Mit dem Bus war kein Durchkommen, und so nahmen wir kurzerhand das Gepäck auf den Rücken und kämpften uns durch den Schlamm. Der Erdrutsch blieb nicht der einzige und ich glaube, ohne die Hilfe der Einheimischen hätten wir es nicht geschafft, uns durch den Matsch zu schlagen. So aber erreichten wir die Taxis, die hinter dem letzten Erdrutsch warteten und schließlich auch Prosoya.

Dort warteten 5 Tage Seminar auf uns, leckeres Essen und exotische Früchte. Wir sprachen über die vergangene Zeit, die Probleme, die wir bewältigen mussten, aber auch über die schönen Erfahrungen, die wir alle gemacht hatten. Abends saßen wir noch beisammen und redeten viel. Es war einfach schön zu sehen, wie es den anderen ging und mehr über ihre Arbeit zu erfahren. Bei manchen merkte man auch schon, wie sie sich innerhalb der letzten 6 Monate verändert haben.

Auch über die Zeit nach der Rückkehr in Deutschland wurde ausführlich geredet. Ein komisches Gefühl, dass dir in deinem eigenen Land ein Kulturschock bevorstehen könnte, aber ich finde diesen Gedanken gar nicht mehr so unrealistisch.

Insgesamt war das Zwischenseminar wirklich hilfreich und hat einem die Zeit gegeben, über die vergangenen Monate nachzudenken. Ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass bereits ein halbes Jahr vergangen ist und ich nur noch die Hälfte vor mir habe. Ein wirklich erschreckender Gedanke, vor allem weil ich schon während der zwei Wochen in Peru meine WG-Mädels und meine Chiquillos sehr vermisst habe und mir nicht vorstellen kann, von ihnen für immer Abschied zu nehmen.

Als wir endlich wieder in der Casa Amistad waren hat es sich wirklich angefühlt wie nach Hause zu kommen. Jetzt heißt es, mit viel Energie und Motivation die nächsten Monate zu meistern und die Zeit hier einfach nur zu genießen, denn sie geht viel zu schnell vorbei.