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In die Welt
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Ich bin Jonas und habe einen Freiwilligendienst in der Ukraine von September 2018 bis September 2019 gemacht. Während des Abiturs stellte sich mir die Frage, wie es weitergehen soll. Gleichzeitig war mir relativ sicher, dass ich nicht so früh studieren möchte und gerne erst einmal etwas Praktisches machen wollte.
Ich bin damals auf das Programm weltwärts gestoßen und fand das Konzept ziemlich cool. Dann habe ich zunächst überlegt, was mir so gefallen könnte. Vor meinem Freiwilligendienst war ich bereits beim Technischen Hilfswerk (THW) und auch beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) tätig. Daher habe ich zunächst an ein Projekt in Richtung Katastrophenschutz gedacht. Ich habe mich bereits vor meinem Freiwilligendienst für Osteuropa, sowie Länder in Zentralasien interessiert. Letztendlich habe ich mich für die Ukraine entschieden, da mir das Land bereits vertraut war. Zudem hat mir die Einsatzstelle in der Ukraine am meisten zugesprochen.
Mir persönlich war es wichtig, in einem Land zu arbeiten, das ich kenne und daher sicher sein kann, dass mir ein Freiwilligenjahr dort wirklich gefallen könnte. Ich wollte nämlich auf keinen Fall abbrechen.
Meine Entsendeorganisation war das IJGD aus Bonn. Vor Ort habe ich für das Bayerische Haus in Odesa gearbeitet. Das ist ein deutsches Kulturzentrum. Dort habe ich vor allem den Deutschunterricht unterstützt und Sprachclubs organisiert. Zudem haben wir zusammen mit Institut für Auslandsbeziehungen und dem Goethe-Institut verschiedene Veranstaltungen organisiert, Gästeführungen durchgeführt oder Kinderferienlager organisiert. Die unterschiedlichen Aufgaben des Projekts haben mich letztlich einfach sehr angesprochen. Letztendlich konnte ich sehr viel selbst ausgestalten und Projekte umsetzen wie ich wollte.
Die Freiheit, die mir im Projekt gegeben wurde, war toll.
Für mich war es keine konkrete Situation die ich nennen könnte. Ich habe einfach gemerkt, dass sich durch den Versuch, die Sprachen zu lernen, viel verändert hat. Konkret war das erst Russisch und später Ukrainisch. Viele andere Freiwilligen sind meistens unter sich geblieben oder haben mit anderen Ausländern Kontakt gesucht.
Durch den Kontakt zur Sprache merkst du schließlich, wie deine Identitäten verschmelzen. Eigentlich bin ich Deutscher, aber es fühlt sich plötzlich anders an. Man fängt an, alles in Hrywnja – der ukrainischen Währung – zu rechnen und nicht mehr in Euro. Ich habe einfach gemerkt, wie ich immer mehr zum „Ukrainer“ geworden bin. Das hat mich selber sehr überrascht, denn im Prinzip ist ein Jahr eigentlich keine lange Zeit.
Ich habe mich vor Ort sehr aufgenommen und zu Hause gefühlt. Bei unserem Ausreiseseminar haben wir ein Päckchen bekommen für einen schlimmen Tag, welches wir öffnen können, wenn wir Trost brauchen oder so. Ich persönlich hatte ganz viele Hochs und Tiefs während des Jahres.
Zum Beispiel habe ich erst bei einer Gastfamilie außerhalb von Odesa gewohnt. Dort habe ich mich jedoch aufgrund der Distanz zur Stadt nicht wohl gefühlt. Ich bin schließlich dort ausgezogen und habe wochenweise bei anderen Freiwilligen gewohnt, bis zu einem Zeitpunkt wo plötzlich nicht mehr klar war, wo ich zukünftig wohnen kann. Damals habe ich überlegt, ob ich das Päckchen aufmachen soll, aber ich habe mich letztendlich mit dem Gewissen dagegen entschieden, dass ein noch schlimmerer Tag kommen könnte.
Der schlimmste Tag vom ganzen Freiwilligendienst war tatsächlich mein letzter Tag.
Plötzlich war klar, dass ich abends in den Zug nach Kyjiw steigen und am nächsten Tag wieder zurück sein würde. An diesem Tag habe ich einen sehr emotionalen Spaziergang durch Odesa gemacht und mich von meinen Lieblingsorten verabschiedet. Während dieses Spazierganges habe ich das Päckchen schließlich aufgemacht. In dem Moment habe ich realisiert: ich verlasse jetzt die Stadt, die mein Zuhause geworden ist.
Absolut nicht. Ich habe erst während des Freiwilligendienstes gemerkt, dass ich Lust habe Politikwissenschaften zu studieren und mich noch intensiver mit der Region und der Ukraine auseinanderzusetzen.
Für Osteuropa-Expert*innen war die Ukraine natürlich schon immer interessant. Aber mit dem 24. Februar und dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands, war plötzlich ein enormer Fokus auf die Ukraine. Ich hätte selbst niemals gedacht, dass mein Wissen, meine Kenntnisse und meine Kontakte vor Ort später von so großer Relevanz werden würden.
Ohne den Freiwilligendienst, der den Grundstein vor allem für meine Fremdsprachen-Kenntnisse gelegt hat, wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Seit 2014 bin ich ehrenamtlich beim THW aktiv. Ich war zuerst in der THW-Jugend, habe später meine Grundausbildung gemacht und war somit ausgebildeter Helfer. 2021 habe ich eine Zusatzausbildung zum sogenannten Auslandshelfer begonnen. Nach dieser Ausbildung darf man das THW im Ausland unterstützen.
Durch Zufall hat der Leiter des Auslandsreferates erfahren, dass ich Auslandshelfer bin und Kontakt mit der Ukraine habe. In dieser Zeit waren sie auf der Suche nach jemanden, der über viele Kontakte und viele Infos über die Ukraine verfügt und Informationen schlüssig aufarbeiten kann. Schließlich erhielt ich eine Mail, ob ich Interesse hätte, ehrenamtlich oder festangestellt für das THW zu arbeiten. Seitdem arbeite ich in verschiedenen Positionen für das THW.
Meine Hauptaufgabe besteht in der Unterstützung der Beschaffungsprozesse von Hilfsgütern – vom Schlafsack über Stromerzeuger, über Baufahrzeuge jeder Art, Bagger, Kipper, Feuerwehrfahrzeuge, feuerwehrtechnische Ausrüstung. Das kann wirklich alles sein, je nachdem, welchen Bedarf es vor Ort gibt. Dazu gehört natürlich auch, immer up-to-date mit der politischen Lage zu sein. Wo haben gerade Angriffe von Russland stattgefunden, welche Region könnte aktuell den größten Bedarf haben? Anschließend muss genau abgestimmt werden, wer was bekommt. Schließlich muss ich alles in die Wege leiten, damit betroffene Menschen in der Ukraine die Hilfsgüter auch erhalten.
Daneben Unterschiedliches. Zum Beispiel kommen Delegationen zu uns, um sich anzuschauen wie Ehrenamt im Zivil- und Katastrophenschutz funktioniert und aufgebaut werden kann. Die Bandbreite an Aufgaben ist riesig. Jeder Tag ist anders – das schätze ich sehr. Du weißt nie, was dich erwartet, wenn du zur Arbeit kommst.
Ja, jeden Tag. Also ich spreche eigentlich mindestens 30% bis 40% pro Tag Ukrainisch. Daneben formuliere ich oder übersetze zum Beispiel Briefe oder übersetze, wenn Delegationen kommen.
Der 24. Februar war einer oder der schlimmste Tag meines Lebens, da überhaupt nicht klar war, was passiert. Ich habe viele Freunde vor Ort. Einer meiner Freunde beispielsweise arbeitete beim Kriegsausbruch beim Grenzschutz und war zu dem Zeitpunkt an der ukrainisch-belarusischen Grenze stationiert. Er hat sich dann erst am 13. Tag nach Kriegsausbruch gemeldet. Davor ging ich davon aus, dass er tot ist. Es gibt so viele solcher Schicksale.
Ich bin da sehr nah dran. Die Ukraine ist für mich mein zweites Zuhause. Wenn ich Bilder von neuen Raketeneinschlägen sehe, in Orten und Städte die ich gut kenne oder wo Freunde leben, tut das schon extrem weh.
Deswegen ist das, was ich hier tue, nicht irgendein Job. Ich mache es aus Überzeugung! Das heißt, wenn etwas am Sonntag oder am Abend geklärt werden muss, dann mache ich das natürlich. Wo eine andere Person vielleicht sagen würde, meine Bürozeit ist vorbei, mache ich die Aufgaben einfach
Krieg hört nicht nach Feierabend auf.
Dem bin ich mir immer bewusst. Selbst, wenn für mich gerade irgendwas anstrengend ist, ist es für mich niemals so anstrengend wie für die Leute, die das miterleben.
Odesa gehört zu einer der Städte, wo ich mich nahezu blind auskenne. Wenn berichtet wird, dass ein Raketenangriff stattgefunden hat, schaue ich mir die Bilder natürlich schon genauer an und frage mich, wo könnte das jetzt gewesen sein? Irgendwann im vergangenen Winter hat ein Angriff auf eine Straße vor einem Kunstmuseum in Odesa stattgefunden. Das war knapp 200 Meter von dem Ort entfernt, wo ich gelebt habe. Dort, wo ich bis jetzt die beste Zeit meines Lebens verbracht habe, ist jetzt 200 Meter weiter ein Bombenkrater. Das war für mich schwer in Worte zu fassen.
Hinzukommt, dass ein großer Teil der Familie meiner Freundin in Odesa lebt. Daher habe ich zu der Stadt nochmal einen ganz anderen Bezug, als zu Orten wo ich jetzt niemanden wirklich persönlich kenne oder persönlich gewesen bin.
2014 haben sie den Donbas und die Krym im Prinzip bekommen, aber Putin hat sich damit nicht zufriedengegeben. Und deswegen ist das Einzige, was man den Ukrainern und der Ukraine wünschen kann, ein Sieg, nichts Anderes wird den Krieg stoppen. Keine Verhandlungen werden funktionieren, weil der Aggressor sich immer mehr holt. Früher war ich eher pazifistischer eingestellt, aber dieses Schlüsselerlebnis hat mir die Augen geöffnet.
Ich war dieses Jahr ein paar Mal privat in der Ukraine und habe einen Journalisten unterstützt und für ihn übersetzt. Dabei habe ich quasi am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn die von Deutschland gelieferten Luftabwehrsysteme dir dein Leben retten. Dann fängst du deine Haltung zu Waffen sehr deutlich an zu überdenken.
Ich würde raten, sich zu informieren. Es gibt einfach nicht „die eine weltwärts-Einsatzstelle“. Es gibt so unglaublich viele Richtungen, wo und wie man sich engagieren kann. Es ist nicht nur ein Jahr im Ausland. Du lernst sehr viel für dich selbst. Es gibt dir meiner Meinung nach viel Lebenserfahrung, in einem Land nicht als Tourist unterwegs zu sein, sondern halt wirklich mit einem anderen Standard als gewohnt zu leben und auch manchmal überleben zu müssen. Und:
Einfach machen, weil es auf jeden Fall das Potenzial hat, das beste Jahr deines Lebens zu werden.